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4c O 18/21 – NuCana vs. Gilead – Entscheidung zur „Verhältnismäßigkeitseinrede“ im Pharma-Bereich

Im Rahmen des zweiten Patentmodernisierungsgesetzes vom August 2021 wurde u.a. der folgende Satz 3 in den Unterlassungsanspruch gemäß § 139 Abs. 1 PatG aufgenommen:

„Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde.“

Diese so genannte „Verhältnismäßigkeitseinrede“ ist ursprünglich auf Betreiben der Automobilindustrie in das Patentgesetz eingeführt worden, um die Automobilunternehmen vor unverhältnismäßigen Patentverletzungsklagen aus Patenten (insbesondere aus dem Software- und Elektronikbereich) von Automobilzulieferern zu schützen. Die Automobilunternehmen beklagten sich darüber, dass entsprechende Patente nur schwer hinsichtlich einer Betriebsfreiheit recherchierbar seien, aber eine Durchsetzung der Patente zu einem vollständigen Produktionsstopp, bzw. Rückruf ihrer Produkte und damit insbesondere bei Erlass einer einstweiligen Verfügung, zu einem enormen ungerechtfertigten Schaden für die Unternehmen führen könnte.

In der vorliegenden Entscheidung ging es jedoch nicht um Streitigkeiten im Automobilbereich, sondern um die patentrechtliche Auseinandersetzung zweier Pharmaunternehmen, nämlich die Patentinhaberin NuCana die ihren Konkurrenten Gilead auf Verletzung ihres europäischen Patentes EP 2 955 190 B1 verklagte. Nach Ansicht der Klägerin wurde das Klagepatent - betreffend eine chemische Verbindung zur Prophylaxe oder Behandlung von Krebs - rechtswidrig durch Arzneimittel des Unternehmens Gilead benutzt, die den medizinischen Wirkstoff Sofosbuvir zur Behandlung einer chronischen Hepatitis C enthalten.

Die Beklagte bestritt die Patentverletzung nicht, sondern berief sich auf § 139 Abs. 1, S.3 PatG und argumentierte, dass insbesondere der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Hinblick auf die Interessen ihrer Patienten unverhältnismäßig sei.

Das LG Düsseldorf wies die Verhältnismäßigkeitseinrede jedoch zurück und erließ eine einstweilige Verfügung. Das Gericht begründete die Zurückweisung damit, dass die Verteidigung der Verhältnismäßigkeit das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung sei und im vorliegenden Fall, die Beklagte weder ausreichende Anstrengungen unternommen habe, eine kommerzielle Lizenz für die Verwendung der patentgeschützten chemischen Verbindung zu erhalten, noch frühzeitig versucht hat, eine Zwangslizenz einzuklagen. So hatten die Klägerin NuCana und die Beklagte Gilead seit August 2021 erfolglos über die Erteilung einer kommerziellen Lizenz verhandelt. Eine Klage auf Erteilung einer Zwangslizenz reichte die Beklagte schließlich im April 2022, erst einige Wochen vor dem Verletzungsprozess ein.

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