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Das "klimaneutral"-Urteil des BGH vom 27. Juni 2024 und seine Auswirkungen auf die Werbung mit Klimaneutralität
Am 27. Juni 2024 fällte der Bundesgerichtshof (BGH) sein mit Spannung erwartetes Urteil zur Werbung mit dem Begriff "klimaneutral" (Az. I ZR 98/23). Dieses Urteil ist ein weiteres in einer Reihe von Entscheidungen, die bereits zuvor die Zulässigkeit von Werbemaßnahmen zu „klimaneutralen Fleischprodukten“ (LG Oldenburg, Urt. v. 16.12.2021, 15 O 1469/21), „klimaneutraler Marmelade“ (OLG Düsseldorf, Urt. v. 06.07.2023, 20 U 72/22) und „klimaneutralen Müllbeuteln“ (OLG Schleswig, Urt. v. 30.06.2022, 6 U 46/21) behandelt haben. Nun kommt eine erstmalige höchstrichterliche Klärung für den Begriff „klimaneutrale Fruchtgummis“ hinzu. Zwar bietet das Urteil den Unternehmen eine gewisse Klarheit hinsichtlich der Zulässigkeit von Werbung mit „klimaneutral“, jedoch bleiben weiterhin einige Fragen offen – insbesondere in Fällen, in denen nicht einzelne Produkte, sondern ganze Unternehmen Klimaneutralität reklamieren.
- Der Sachverhalt
Im Mittelpunkt der Entscheidung stand eine Werbeanzeige, die am 19. Februar 2021 in der Printausgabe der Lebensmittel Zeitung erschien. Die Anzeige bewarb Süßwaren mit der Aussage „K* schmeckt auch unserem Klima“. Darunter war der Satz zu finden: „Seit 2021 produziert K* alle Produkte klimaneutral. Jetzt auch gut sichtbar auf jedem Beutel!“ Dazu war ein Label mit den Begriffen „klimaneutral“ und „Produkt“ abgebildet. Über einen QR-Code in der Anzeige konnte eine Webseite mit weiteren Informationen zur behaupteten Klimaneutralität aufgerufen werden. Diese Webseite wurde von einem „Umweltzertifizierer“ betrieben, der die CO2-Bilanz der Produkte aufstellte und Maßnahmen zur Kompensation von CO2-Emissionen anbot.
- Die Entscheidungen der Vorinstanzen
Sowohl das Landgericht Kleve (Urt. v. 22.06.2022, 8 O 44/21) als auch das Oberlandesgericht Düsseldorf (Urt. v. 06.07.2023, 20 U 152/22) erklärten die Werbung für lauterkeitsrechtlich zulässig, jedoch mit unterschiedlichen Begründungen:
Das Landgericht Kleve entschied, dass der Begriff „klimaneutral“ in der Werbung für ein Fachpublikum nicht irreführend sei. Da Fachkreise wüssten, dass Klimaneutralität auch durch Kompensation erreicht werden könne, sah das Gericht keine Irreführung nach § 5 UWG a.F. Zudem sei das Angebot weiterer Informationen über die Webseite des Umweltzertifizierers ausreichend.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hob hervor, dass es nicht nur auf die Richtigkeit von Angaben, sondern auch auf die möglicherweise irreführende Wirkung auf den Verbraucher ankommt. Dabei wurde das Augenmerk auf den durchschnittlichen Verbraucher gelegt, der ebenfalls erkennen könne, dass Klimaneutralität durch Kompensation oder Vermeidung von Emissionen erreicht wird. Die Angabe „klimaneutral“ erwecke also kein falsches Verständnis.
Das OLG Düsseldorf prüfte zusätzlich, ob durch das Fehlen von Informationen zur Art der Klimaneutralität eine Irreführung durch Unterlassen vorlag. Es stellte fest, dass der Verbraucher ein rechtmäßiges Interesse an einer Aufklärung über die genauen Kompensationsmethoden habe und dass die Bereitstellung dieser Informationen über die Webseite des Umweltzertifizierers ausreichend sei, da die räumlichen Einschränkungen einer Printanzeige berücksichtigt werden müssten.
- Die Entscheidung des BGH
Der BGH hob auf die Revision der Klägerin hin das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf und änderte das Urteil des Landgerichts Kleve ab. Der BGH untersagt der Beklagten, mit der Aussage „Seit 2021 produziert K* alle Produkte klimaneutral“ und/oder dem Label „klimaneutral“ zu werben.
Die Entscheidung bezieht sich lediglich auf die Frage, ob eine aktive Irreführung nach § 5 UWG vorliegt. Ob auch eine Irreführung durch Unterlassen nach § 5a Abs. 2 UWG a.F. vorliegt, ließ der BGH offen.
Der BGH stellte fest, dass für umweltbezogene Werbeaussagen, ähnlich wie für gesundheitsbezogene, besondere rechtliche Maßstäbe gelten. Seit den 1980er Jahren gehe der Senat davon aus, dass Verbraucher umweltfreundliche Produkte bevorzugen. Der BGH betonte, dass umweltbezogene Werbung in besonderem Maße emotionale Bereiche anspreche, wobei die meisten Verbraucher nur über ein begrenztes Verständnis der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge verfügten.
Daher sei eine besonders präzise Aufklärung über die Bedeutung und den Inhalt von Begriffen wie „klimaneutral“ notwendig. Die Werbung müsse klarstellen, ob die Klimaneutralität durch CO2-Vermeidung oder Kompensation erreicht wird. Der BGH entschied, dass aufklärende Hinweise auf einer externen Webseite nicht ausreichen, wenn sie nicht direkt in der Werbung integriert sind.
- Bewertung, offene Fragen und Ausblick
Die Entscheidung des BGH bietet mehr Klarheit darüber, unter welchen Bedingungen die Bewerbung von Produkten als „klimaneutral“ unzulässig ist. Es bleibt jedoch unklar, unter welchen Voraussetzungen eine „klimaneutral“-Werbung zulässig ist.
Der BGH betonte, dass umweltbezogene Werbung strengen Anforderungen genügen muss, was bereits in den Instanzurteilen angedeutet wurde. Auch die Klarstellung, dass der Begriff „klimaneutral“ sowohl CO2-Vermeidung als auch CO2-Kompensation umfassen kann, wurde bereits früher festgestellt. Neu ist, dass die Zulässigkeit der Werbung jetzt ausschließlich nach § 5 UWG beurteilt wird, nicht mehr nach § 5a UWG, der auch die räumlichen Beschränkungen des Kommunikationsmittels berücksichtigt.
Unternehmen sollten weiterhin darauf achten, dass umweltbezogene Werbung strengste Anforderungen an Klarheit und Transparenz stellt, insbesondere wenn mehrdeutige Begriffe wie „klimaneutral“ verwendet werden. Der BGH hat deutlich gemacht, dass in der Werbung selbst eindeutig erläutert werden muss, welche Bedeutung der Begriff hat.
Abschließend bleibt die Frage offen, wie weit die rechtlichen Anforderungen für eine „hinreichende Aufklärung“ in verschiedenen Werbeformen – sei es in Printanzeigen, Video-Werbung oder auf digitalen Plattformen – reichen werden. Weitere Rechtsprechung wird hierzu erwartet.
Unternehmen sollten auch die Entwicklungen im Hinblick auf die EU-Richtlinie zur Stärkung der Verbraucherrechte (EmpCo) und die neue „Green Claims Directive“ im Auge behalten. Diese könnten zu noch strengeren Anforderungen führen, insbesondere im Hinblick auf allgemeine Umweltaussagen und deren Nachweisbarkeit.